Bibliophilen nennt man jenen, der einem Mitbewerber, welcher ihm ein seltenes Buch wegschnappt, die Pest ins Gebein wünscht. Politik verdirbt den Charakter, Bibliophilie verdirbt ihn. Welch ein Ungeheuer muß ein bibliophiler Politiker sein! (Wilhelm Junk)
In Kooperation mit dem Kulturverein Burbach e.V. lädt Schloss Dagstuhl zur Vernissage der Ausstellung „Sehnsucht nach dem Norden“ am 21. Oktober ein. Ulrich Klimmt entschied sich früh für den Beruf des Kunsterziehers. Zeichnen, collagieren, malen blieben aber seine Passion. Nach der Schule verbrachte er die meiste Zeit in seinem Atelier. Die Familie und sein Gestaltungsdrang ließen ihm keinen Raum für den Kunstbetrieb. So sind seine Bilder ganz er selbst, ohne opportunistische Zugeständnisse an Zeitgeschmack und Moden. Er experimentierte gerne, suchte in den unterschiedlichen Techniken nach der für ihn überzeugendsten Lösung für die jeweiligen Themen. Seine Bilderwelten beschreiben die Familie, seine nähere Umgebung und auch die fernere der Literatur. Auf Reisen und im Urlaub waren die Skizzenblöcke immer dabei. Ihr Motive begleitete ihn dann das ganze Jahr. Vor allem Skandinavien, Frankreich, erst Spanien und dann Portugal lieferten ihm die Sujets. Für ihn waren die kleinen Dinge groß. Auf diese Weise lebten und leben Häuser, Boote, Blumen, Sträucher, Bäume, Steine, Muscheln, Fische, Vögel und anderes Getier von seiner Hand skizziert, ein – oft farbenreiches – weiteres Leben. Er verknüpfte sie außerdem auf vielfache Weise mit Menschen, vor allem mit Kindern und Frauen. Auf diese Weise ist ein umfangreiches Werk entstanden.
Vernissage: Montag, 21. Oktober 2024, 19:30 Uhr
Besuchsmöglichkeiten der Ausstellung in Dagstuhl
Montag bis Donnerstag nur nach Voranmeldung unter:
Tel. 06871 - 9050
oder per Mail lzi@dagstuhl.de
Schloss Dagstuhl
Oktavie-Allee
66687 Wadern
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I
Frank Hirsch hat uns die Ereignisse des 26. August vor 90 Jahren plastisch vor Augen geführt und – wie ihm aufgetragen – eingeordnet. Ich kann keinen Unterschied zu meiner Sicht auf diesen Tag erkennen. Wichtig ist mir sein Hinweis, dass wir die für uns gültigen Maßstäbe bei der Betrachtung der Vergangenheit sehr wohl anlegen dürfen, aber andererseits nicht ignorieren sollten, dass diese nicht immer gegolten haben. Frühere Zeiten hatten andere Gesetze, andere Moralvorstellungen, auch andere Schönheitsideale. Karl Marx hat nüchtern den Zusammenhang von technischen Entwicklungen, den daraus resultierenden Produktionsverhältnissen und dem sich damit verändernden gesellschaftlichen Überbau – Kultur, Moral, Politik und Religion – dargestellt. Für uns gelten die gemeinsamen Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in einer demokratischen Gesellschaft, ergänzt um das Prinzip der Nachhaltigkeit.
Einen weiteren Schlüssel für die aktuellen politischen Verwerfungen liefert Ernst Blochs Definition von Ungleichzeitigkeiten in der deutschen Gesellschaft, mit denen er in den 30er Jahren das Aufkommen des Nationalsozialismus zu erklären versuchte. Dieser Schlüssel kann uns helfen, viele aktuelle gesellschaftliche Phänomene und Auseinandersetzungen in unserem Land und in Europa zu verstehen. Vor 70 Jahren war die Grundhaltung in der bundesdeutschen Gesellschaft konservativ, paternalistisch, nationalistisch, auch rassistisch. Erst mit Weizsäckers Rede im Jahr 1985, 40 Jahre nach der Kapitulation, und mit dem fortschreitenden Generationswechsel konnte aus der „Niederlage“ im Zweiten Weltkrieg ein Akt der Befreiung von der Diktatur werden. Wenige, aber immer noch zu viele, wollen es auch heute noch nicht wahrhaben.
II
90 Jahre – fast schon ein Jahrhundert – ist es her, dass sich am 26. August 1934 in Sulzbach ca. 60 000 Menschen einfanden, um für ein freies Saargebiet zu demonstrieren.
Es war der beeindruckende Höhepunkt eines letztlich vergeblichen Kampfes gegen die Rückkehr des vom Völkerbund administrierten Saargebiets in das seit 1933 von den Nationalsozialisten beherrschte Deutschland
Der Völkerbund hatte sich nicht zu einer Verschiebung der für 1935 vorgesehen Volksabstimmung bewegen lassen. Frank Hirsch hat die Bildung der Deutschen Front geschildert. Das Gefühl, einem ungerechten Sieger-Diktat unterworfen gewesen zu sein, der Wunsch zu Deutschland zurückzukehren, schwemmte auch in bürgerlichen Kreisen alle Einwände und Besorgnisse hinweg. Hinzu kam, dass der Wunsch nach autoritärer Führung weit verbreitet war. In Italien hatte sich der Faschismus durchgesetzt, dann in Portugal, später in Spanien. In der Sowjetunion war Stalin unbestrittener Diktator, wie auch Pilsudski in Polen.
So akzeptierten die Menschen an der Saar weithin die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im neuen Nazi-Deutschland: Keine Parteien mehr außer der NSDAP, keine Gewerkschaften, eine gleichgeschaltete Presse, wachsende Behinderung der Kirchen, Konzentrationslager außerhalb des Rechts, Antisemitismus. All das war bekannt, wurde entweder von der nationalen Euphorie beiseitegeschoben oder billigend in Kauf genommen. So weh es tut: Die neue Zeit zog mit den Nazis.
III
Die Hauptakteure der Kundgebung am 26. August waren Richard Kirn, Fritz Pfordt, Hugolinus Dörr, Max Braun und Erich Weinert. Der Hass der deutschen Front, besonders der Nazis war ihnen gewiss.
Richard Kirn, 1902 in Schiffweiler geboren, Bergmann. Gewerkschafter. Vorsitzender der SPD in Sulzbach war der engagierte und talentierte Organisator der Kundgebung.
Er flüchtete nach der Abstimmung am 19. Januar ins benachbarte Forbach und arbeitete von dort für den Widerstand und in der Flüchtlingshilfe. Nach dem deutschen Einmarsch floh er nach Südfrankreich und arbeitete zeitweise wieder als Bergmann. Von der Vichy-Polizei verhaftet, an die Wehrmacht und damit die Gestapo ausgeliefert, wurde er am 12. April 1943 vom Volksgerichtshof zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Befreiung durch die Rote Armee kehrte er Ende 1945 an die Saar zurück. Er wurde Vorsitzender der SPS, von 1947 bis 1955 war er Mitglied des Landtages und Minister. Nach der Abstimmungsniederlage am 23. Oktober 1955 zog er nach Saargemünd – emigrierte quasi ein zweites Mal. Ich habe ihn dort einige Male besucht und wir konnten ihn in die SPD zurückholen, die ihm 1955 die Mitgliedschaft verweigert hatte. Er starb am 4. April 1988.
Als erster Redner vertrat Fritz Pfordt das von ihm mit Max Braun geschmiedete Bündnis. Pfordt, 1900 in Landsweiler-Reden geboren, Schlosser, trat 1921 in die USPD ein, 1923 dann in die KPD. Er arbeitete als Redakteur der „Arbeiterzeitung“. Mitte Juni 1934 wurde er zum Politischen Leiter der Bezirksleitung Saargebiet der KP bestimmt, mit dem Auftrag, den Kurswechsel – Der Status quo als Abstimmungsziel und Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten – durchzusetzen. Bereits am 30. Juni veranstalteten Pfordt und Braun eine gemeinsame Kundgebung in Burbach.
Auch er emigrierte nach Forbach, leitete kurze Zeit die illegale KP im Saarland, ging dann über Moskau weiter nach Schweden ins Exil. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt brach er mit der KPD, arbeitete aber weiter für die Rote Hilfe. Nach dem Krieg kehrte er an die Saar zurück und engagierte sich im Mouvement pour le Rattachement de la Sarre à la France, für das MRS. Er starb am 12. Oktober 1957 in Saarbrücken.
Eine Art Überraschungsgast der Kundgebung war Hugolinus Dörr. 1895 in Sellerbach geboren wurde er 1923 zum Priester geweiht. Seine geistliche Karriere scheiterte weitgehend, seine Person blieb in der Kirche umstritten. Der engagierte Nazigegner plädierte für den Status Quo und legte sich damit sowohl mit der Kirche wie mit den Nazis an. Nach seinem Auftritt in Sulzbach redete er auf weiteren Veranstaltungen. Vor 600 Zuhörern im St. Ingberter Beckersaal prophezeite er, der Nationalsozialismus "wolle alles ausrotten, was nicht arisch ist."
Auch er floh nach Frankreich. Dort war er bei seinen Glaubensbrüdern ebenso umstritten wie in seiner Heimat. 1939 interniert und im Mai 1940 in das Lager Fort Asnières an der französisch-spanischen Grenze überstellt, kam er am 6. 6. 1940 unter ungeklärten Umständen ums Leben.
Eine herausragende Rolle spielte zweifellos Max Braun. 1892 in Neuss geboren, kam der Volksschullehrer 1923 als Chefredakteur der Volksstimme ins Saargebiet. Mit seiner Frau Angela Braun-Stratmann gründete er die Arbeiterwohlfahr an der Saar und wurde im Februar 1928 zum saarländischen SPD-Vorsitzenden gewählt. Nach der Niederlage 1935 emigrierte er mit seiner Frau und seinem Bruder Heinz nach Frankreich. Dort organisierte er mit anderen den Kampf gegen Hitler, scheiterte aber mit dem Plan, eine wahre Volksfront zu installieren an den fortbestehenden Divergenzen in den Organisationen der Arbeiterbewegung. 1939 gelang es ihm, mit seiner Frau und seinem Bruder Heinz nach England zu entkommen. Am 3. Juli 1945 starb Max Braun – Die Einreisepapiere für die Saar in der Tasche – an den Folgen eines Hirnschlags.
Auch Erich Weinert muss erwähnt werden. Er trug auf der Kundgebung zwei seiner Gedichte vor und mit seinem Saarlied endete die Kundgebung. Weinert wurde 1890 in Magdeburg geboren. Der Kunsterzieher und Autor flüchtete 1933 über Frankreich ins Saargebiet, um im Abstimmungskampf zu helfen. Am 6. Januar 1935 trat er noch einmal auf dem Kieselhumes auf. Nach der Niederlage kehrte er nach Frankreich zurück, schloss sich den internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg an und beteiligte sich am zweiten Weltkrieg auf sowjetischer Seite als Propagandist. 1946 kam er nach Deutschland zurück und starb am 20. April 1953 in Berlin.
Vier Lebensläufe. Ähnliche Schicksale erlitten Hunderte, Tausende. Der Strom der Flüchtenden nach dem verstörenden Abstimmungsergebnis riss nicht ab. Widerstandsversuche wurden immer wieder erstickt, bewundernswert vor allem der Wille und die Kampfkraft der Kommunisten – noch ungebrochen von ihrer vermeintlich historischen Aufgabe beseelt. Luitwin Bies hat ihnen mit seinen Forschungen ein Denkmal gesetzt.
IV
Vielleicht ist das ein Moment, inne zu halten und etwas zur aktuellen Debatte über politisch Verfolgte, über Asyl, Wirtschaftsflüchtlinge und Zuwanderung zu sagen.
Das Saarland war schon immer ein Ort der Begegnung und Zuwanderung. Es begann schon mit den Kelten, den Römern und den Franken. Nahezu menschenleer war das Land nach dem 30jährigen Krieg. Die Lücken wurden von Zuwanderern geschlossen, vor allem aus dem Alpenraum. Vor 200 Jahren verließen die Menschen aus wirtschaftlicher Not in Scharen das Land, zogen in die beiden Amerikas, nach Rumänien, Galizien und noch weiter nach Osten. Mit dem entstehenden Industrierevier kehrte sich der Trend um und die Zuwanderung setzte erneut ein. Später folgten Arbeitskräfte aus Italien und der Türkei.
Zu uns kamen Politische Flüchtlinge aus Ungarn, aus dem Iran, aus Griechenland, Chile, Vietnam und jetzt aus der Ukraine und dem Nahen Osten. Und ganz friedlich kommen junge Menschen aus aller Welt, um bei uns zu studieren. Alle die hier waren und die geblieben sind, haben mit ihrer Kultur und ihrer Arbeit unser Land reicher gemacht und tun dies heute noch. Die dümmlichen Parolen von einer uniformen Volksgemeinschaft, die gegen fremde Einflüsse verteidigt werden müsse und der damit verknüpfte hypertrophierte Nationalismus sowie der offene oder versteckte Rassismus zerstören die Gemeinschaft und erfordern unseren Widerstand.
1986 enthüllte Richard Kirn mit dem damaligen Justizminister Arno Walter am Waldheim einen Gedenkstein zur Erinnerung an die Kundgebung vom 26. August 1934. Arno Walter sagte damals: „wir sollten uns bei der heute (1986) geführten Diskussion um das Asylrecht stets an die Zeit erinnern, in der Willkür, Gewalt und Terror in diesem Land herrschten und unsere Mitbürger, Nachbarn, Freunde und Kollegen außerhalb des Landes Schutz suchen mussten. Nie darf es dazu kommen, dass wir in der Bundesrepublik unsere Grenzen vor denen verschließen, die bei uns Schutz vor politischer Verfolgung suchen.“ Daran ist für mich auch heute nichts zu deuteln.
Wohl gemerkt: Es geht um politisch Verfolgte. Wir sollten aber auch Verständnis für die Menschen haben, die für sich und ihre Familien eine besseres Leben suchen, so wie zigtausende vor 200 Jahre aus unserer unter dem Bevölkerungswachstum leidenden Region in alle Welt zogen. Wie andere Staaten – wie Australien oder Kanada – brauchen wir bei den wachsenden Flüchtlingsströmen auch Regeln, nicht nur national, sondern im europäischen Rahmen. Unsere vornehmste Aufgabe aber wird es sein, zur Verbesserung der Lebensverhältnisse in den vom Klimawandel und – wie damals bei uns – wachsenden Bevölkerungszahlen gequälten Regionen beizutragen
V
Aktuell bedrängen uns die Nachrichten und Bilder aus der Ukraine, aus dem Nahen Osten, aus Afrika und aus der Karibik. Gewiss, es gab und gibt kaum einen Staat, der in seiner Geschichte von schuldhafter Verstrickung in Krieg und Gewalt frei geblieben wäre und der Faschismus war nicht auf Deutschland beschränkt, seine deutsche Variante aber war in ihrer Brutalität, auf Sozialdarwinismus und Rassismus gegründet, ohne Bespiel.
Bereits 1946 hatte der KZ-Häftling Eugen Kogon den SS-Staat und das System der deutschen Konzentrationslager beschrieben. 1950 erschien das Tagebuch der Anne Frank erstmals in deutscher Übersetzung und erreichte bereits in den Fünfzigern als Taschenbuch eine Auflage von über 750.000 Exemplaren. Die Zahl der Veröffentlichungen über das angeblich 1000jährige Reich schwoll an. Wer ernsthaft wollte, konnte der Wahrheit näherkommen. Die Justiz leistete dabei keine große Hilfe, eher das Gegenteil. Es gab aber auch Ausnahmen. Eine Schlüsselfigur war und bleibt Fritz Bauer, der 1949 aus der Emigration nach Deutschland zurückkehrte, zuerst in Braunschweig und dann in der hessischen Justiz arbeitete.
Mit seiner Hilfe konnte Israel Adolf Eichmann in Argentinien aufspüren und dem Organisator der Judenmorde den Prozess machen. Im Dezember 1963 wurde der erste Auschwitzprozess in Westdeutschland gegen 22 Angeklagte vor dem Landgericht Frankfurt eröffnet. Die deutschen Medien berichteten - endlich. Unter den Zuhörern war Peter Weiss, der in Schweden lebende Emigrant, Maler, Filmemacher und Schriftsteller. Aus seinen selber gewonnenen Eindrücken und mit Bernd Naumanns Protokollen des Prozesses entwickelte Weiss sein Theaterstück: „Die Ermittlung, ein Oratorium in 11 Gesängen“, das Alexander van Dülmen, 1984 bis 1988 hiesiger Schülersprecher, Mitglied bei den Jusos und der VVN-BdA jetzt als Produzent neu verfilmt hat. Eigentlich ein „Muss“. Wer das Theaterstück oder den Film gesehen hat, begreift nicht nur die „Banalität des Bösen“, sondern auch die singuläre Entmenschlichung sowohl der Täter und ihrer Opfer.
Mit Bauers juristischer Konsequenz, Peter Weiss literarischer Verarbeitung und Willy Brandts Kniefall am 9. Dezember 1970 in Warschau setzten drei ehemalige Emigranten die wichtigsten Marksteine für die Wandlung des bundesdeutschen Geschichtsbildes. Es war dem national-konservativen Richard von Weizsäcker, ehemaliger HJler und Wehrmachtssoldat, vorbehalten, mit seiner großartigen Rede als Bundespräsident am 8. Mai 1985 einen neuen – quasi amtlichen – Blick auf die Nazizeit zu Protokoll zu geben, indem er den 8. Mai 1945 nicht als Tag der Niederlage, sondern als Tag der Befreiung wertete.
Jetzt, wo die Schrecken zu verblassen drohen, die Stolpersteine Inventar zu werden drohen, brauchen wir weiter vielfältige Formen des Erinnerns. Besorgen muss uns, dass in der jungen Generation Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus neue Anhänger finden. So können wir uns nicht mehr damit trösten, dass die Ewiggestrigen mit der Zeit verschwinden würden. Die Gewordenheit unserer Gegenwart mit all den Schrecknissen der Vergangenheit zu verstehen, öffnet das Fenster zu einer menschlichen Zukunft. Belehren – vielleicht, Indoktrinieren: Nein. Berichten, der Wahrheit verpflichtet, darstellen und dokumentieren, das ist unsere Aufgabe.
Wenn uns die hohen Zustimmungswerte der AfD, nicht nur in Ostdeutschland, verstören, sei daran erinnert, dass es eine nationalistische und rassistische Grundstimmung in Teilen der alten Bundesrepublik immer gegeben hat, die aber nur selten virulent wurde. Zwischenzeitliche Höhenflüge von NPD und Republikanern belegen das. In Teilen der AfD materialisieren sie sich erneut.
Was tun? Juli Zeh hat auf einer Veranstaltung am 30. Januar 2024 in Potsdam einen wichtigen Hinweis gegeben. Sie bemerkte, dass in ihrem Umfeld – sie lebt in Brandenburg auf dem Lande – die Zahl der Rechtsextremen sehr gering sei, die Zahl der AfD WählerInnen aber sehr groß. Sie plädierte dafür, niemanden verloren zu geben, sondern für die Demokratie zu werben. Die Stärke der Demokraten ist das Argument, gerne ein intellektuelles Feuerwerk, es sind nicht die Schimpfkanonaden und Beleidigungen, die erzeugen eher Trotz.
Mit Bunt statt Braun haben die hier Versammelten Gesicht gezeigt. Bunt statt Braun bedeutet auch Vielfalt der Meinungen. „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ formulierte Rosa Luxemburg. Den Wettstreit können wir auch mit Respekt und Fairness führen. Vorbilder bewirken dabei mehr als Polemiken.
Wir müssen nicht lange suchen. Es sind die Frauen und Männer, die am 26. August 1934 für Freiheit und Solidarität ihr Gesicht gezeigt haben, diejenigen, deren Namen wir kennen, aber auch die vielen, deren Namen wir nicht oder nicht mehr kennen. Die 60.000, die 1934 nach Sulzbach kamen, weisen uns heute noch den Weg. Deshalb sind wir hier!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
zur Abwechslung mal ein kühler Empfang in der Stiftung Demokratie an einem geschichtsträchtigen Datum. Am13. August 1961 wurde in Berlin die Mauer errichtet, ein Bauwerk, das uns heute Abend noch beschäftigen wird. Uns führt heute eine Doppelveranstaltung zusammen, in deren Mittelpunkt der Fotograf und Autor Dietmar Riemann steht. Sozusagen ein kultureller Doppel Wumms: Wir eröffnen die Fotoausstellung „Dietmar Riemann: Innere Angelegenheiten. Fotografien 1975-89“ und der genannte Riemann ist hier, um aus seinem Buch "Laufzettel. Tagebuch einer Ausreise" zu lesen. Das 2005 erschienene Werk ist leider vergriffen.
Die Ausstellung ist die dritte Koproduktion der SDS mit der Stiftung „Situation Kunst – für Max Imdahl“ in Bochum. Der Ruhrgebietsfotograf Rudolf Holtappel und die Fotojournalistin Anja Niedringhaus waren bereits bei uns zu Gast. Die Bochumer Stiftung ist das Kind des Galeristen Alexander von Bersword-Wallrabe, der über lange Jahre mit seiner „Galerie M“ unter anderen Richard Serra, Arnulf Rainer und Gotthard Graupner vertreten hat. Auf dem Familienbesitz in Bochum-Weitmar gründete er Ende der Achtziger die Stiftung „Situation Kunst (Für Max Imdahl)“, die1991 den Kunstsammlungen der Ruhruniversität angegliedert wurde. Die ständigen Sammlungen und Ausstellungen bieten ein breit gefächertes Anschauungsmaterial für Studierende, aber auch für das interessierte Publikum. Ins Portefeuille gehört zudem die Fotografie. Im Jahr 2022 hat die Stiftung den gesamten künstlerische Vorlass Dietmar Riemanns übernommen. Daraus ist eine Werkschau mit dem Titel „Dietmar Riemann. Foto-Grafiker“ entstanden und eben die Ausstellung, von der wir nur einen kleinen Ausschnitt zeigen können. Der hat es aber in sich, wie sie später sehen können.
Dietmar Riemann wurde 1950 in Sachsen geboren, machte eine Fotografenlehre, arbeitete in einem Braunkohlekraftwerk als Werksfotograf, dann als Architekturfotograf für die Deutsche Bauakademie in Berlin. 1976-1978 absolvierte er ein Fotografenstudium an der Hochschule in Leipzig und arbeitete anschließend als freischaffender Fotograf und wurde in den Verband bildender Künstler der DDR aufgenommen. Riemann gehörte zu den anerkannten Fotokünstlern der DDR, kollidierte aber immer wieder mit den Loyalitätsansprüchen der offiziellen Kulturpolitik, die spätestens mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 ihre Glaubwürdigkeit verloren hatte. In der Konsequenz stellte er den Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR, der dann 1989 genehmigt wurde. Diese Jahre des Wartens und der Unsicherheit fanden ihren Niederschlag in Tagebüchern, aus denen „Laufzettel. Tagebuch einer Ausreise“ entstanden ist, aus dem Riemann gleich lesen wird.
In dieser Zeit fotografierte er weiter, quasi im eigenen Auftrag. Wir zeigen Ausschnitte aus den Serien „Wände, Mauern Zäune und andere Begrenzungen“ und „Schaufenster“, an denen sich die prekäre Lage des mehr und mehr zerfallenden Arbeiter- und Bauernstaates ablesen lässt. Tagebuch und Fotografien fallen in die Zeit, in der die 1985 zur Regierungspartei gewordene Saar SPD mit Städtepartnerschaften und Regierungskontakten ihre Konzeption der Überwindung der deutschen Spaltung im Rahmen einer europäischen Zukunftsordnung vorantrieb. Die Ausstellung ist eine Kunstausstellung – und natürlich, wie alle gute Kunst, von gesellschaftlicher Relevanz. Für Situation Kunst gehört Dietmar Riemann zu den großen bildnerischen Foto-Grafikern Deutschlands – mit einem eigenen Stil. Darin auch Elemente der vom Saarbrücker Otto Steinert begründeten „Subjektiven Fotografie“ sowie der „neuen Sachlichkeit“ – etwa in den Architekturmotiven. Sie belegen, dass es trotz der staatlichen Trennung immer eine an den Menschheitsthemen orientierte Gemeinsamkeit der Künstlerinnen und Künstler in Ost und West gegeben hat. Wer meint, künstlerische Qualität sei Westdeutschland vorbehalten gewesen, der irrt sich gewaltig.
Neben den beiden genannten, geradezu subversiven Reihen zeigt Riemann ein Panorama der ostdeutschen Welt, zeigt deutsche Geschichte im Kleinen, streift mit seiner Kamera als Chronist durch Berlin und andere Orte der DDR und fängt Details ein, die bei heutiger Betrachtung aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. Neben bedrückenden Einblicken in das Leben in einem Altersheim oder in einem Heim für Menschen mit geistiger Behinderung, neben dem systemkritischen Blick auf marode Industrieeinrichtungen und augenzwinkernden Momentaufnahmen vom Freizeitvergnügen auf der Trabrennbahn, geben die Fotografien nicht zuletzt auch Auskunft über die Gestaltung des öffentlichen Raums in der DDR.
„Seine Bilder sind historische Dokumente, die zugleich ihren künstlerischen Eigenwert entwickeln und in ihrem erzählerischen Impuls zur individuellen Geschichtsschreibung beitragen.“, heißt es im Katalog zur Ausstellung. Das unterschreibe ich.
Als der Zweite Weltkrieg in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands endete, lagen das Land und weite Teile des Kontinents in Trümmern. Für viele Menschen war es eine bittere Niederlage. Dass der Sieg der Alliierten vor allem ein Akt der Befreiung war, setzte sich in der Mehrheit des Volkes erst sehr viel später durch. Wenige, aber immer noch zu viele, wollen es auch heute noch nicht wahrhaben.
Der Weg zu einer anderen Zukunft, zu demokratischen Strukturen, gelang unter Anleitung der Alliierten erstaunlich schnell, wobei die Funktionseliten des Nazi-Systems in Verwaltung, Justiz, Wissenschaft, Gesundheits- und Bildungswesen – auch in der Kultur – weiter amtierten bzw. präsent waren. Es gab wenig unbelastete personelle Alternativen. Die Frauen und Männer der äußeren und inneren Emigration konnten nicht annähernd den Personalbedarf decken.
Die Einsicht, einem verbrecherischen System gedient zu haben, ließ auf sich warten. Es fehlte ganz simpel der Mut, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Verleugnen und Verdrängen half beim Weiterleben. Der Weg zur Einsicht vollzog sich in Etappen. War der Nürnberger Prozess mit dem Diktum Siegerjustiz noch relativiert worden, waren es vor allem die Auschwitzprozesse, die den Blick für die Monstrosität des Naziregimes öffneten.
Aktuell bedrängen uns die Nachrichten und Bilder aus der Ukraine, aus dem Nahen Osten, aus Afrika und aus der Karibik. Gewiss, es gab und gibt kaum einen Staat, der in seiner Geschichte von schuldhafter Verstrickung in Krieg und Gewalt frei geblieben wäre und der Faschismus war nicht auf Deutschland beschränkt, seine deutsche Variante aber war in ihrer Brutalität, auf Sozialdarwinismus und Rassismus gegründet, ohne Bespiel.
Bereits 1946 hatte der KZ-Häftling Eugen Kogon den SS-Staat und das System der deutschen Konzentrationslager beschrieben. 1950 erschien das Tagebuch der Anne Frank erstmals in deutscher Übersetzung und erreichte bereits in den Fünfzigern als Taschenbuch eine Auflage von über 750.000 Exemplaren. Die Zahl der Veröffentlichungen über das angeblich 1000jährige Reich schwoll an. Wer ernsthaft wollte, konnte der Wahrheit näherkommen. Die Justiz leistete dabei keine große Hilfe, eher das Gegenteil.
Es gab aber auch Ausnahmen. Eine Schlüsselfigur war und bleibt Fritz Bauer, der 1949 aus der Emigration nach Deutschland zurückkehrte und in der Braunschweigischen Justiz arbeitete. 1956 wurde er von Ministerpräsident Georg August Zinn zum hessischen Generalstaatanwalt ernannt. Bauers Hauptinteresse galt der juristischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen, womit er bei seinen Berufskollegen eher Missbilligung als Zustimmung erfuhr. Die Invektive Nestbeschmutzer, die Wolfgang Staudte für seinen Film Die Mörder sind unter uns schon früh zu hören bekam, wurde auch Bauer zuteil. Seine Situation beschrieb er mit dem lakonischen Satz: „Wenn ich mein [Dienst-]Zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“
Davon unbeeindruckt folgte er seiner Überzeugung. Mit seiner Hilfe konnte Israel Adolf Eichmann in Argentinien aufspüren und dem Organisator der Judenmorde den Prozess machen. 1959 erreichte Bauer, dass der Bundesgerichtshof dem Landgericht Frankfurt am Main die Zuständigkeit für die im Konzentrationslager Auschwitz begangenen Verbrechen zuwies. Er bekam damit die Möglichkeit, die folgenden Prozesse zu betreuen und voranzutreiben.
Im Dezember 1963 wurde der erste Auschwitzprozess in Westdeutschland, die „Strafsache gegen Mulka und andere“, gegen 22 Angeklagte vor dem Landgericht Frankfurt eröffnet. Der Prozess hatte die von Bauer erhoffte Resonanz. Die deutschen Medien berichteten – endlich. Unter den Zuhörern waren prominente Journalisten wie Axel Eggebrecht und Bernd Naumann, außerdem Peter Weiss, der in Schweden lebende Emigrant, Maler, Filmemacher und Schriftsteller. Aus seinen selber gewonnen Eindrücken und mit Bernd Naumanns Protokollen des Prozesses entwickelte Weiss sein Theaterstück: Die Ermittlung, ein Oratorium in 11 Gesängen, das uns heute zusammengebracht hat.
Am 19. Oktober 1965 – zwei Monate nach Prozessende – wurde Weiss Dokumentarstück im Rahmen einer Ring-Uraufführung an fünfzehn west- und ostdeutschen Theatern sowie von der Royal Shakespeare Company, London, uraufgeführt. Zahlreiche internationale, west- und ostdeutsche Aufführungen folgten. Bis in die Gegenwart wurde das Stück immer wieder gespielt oder mit szenischen Lesungen in Teilen aufgeführt, die Buchausgaben bei Suhrkamp und Rowohlt erfuhren zahlreiche Auflagen.
Jetzt, wo die Schrecken zu verblassen drohen, die Stolpersteine Inventar geworden sind, brauchen wir weiter vielfältige Formen des Erinnerns. Besorgen muss uns, dass in der jungen Generation Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus neue Anhänger finden. So können wir uns nicht mehr damit trösten, dass die Ewiggestrigen mit der Zeit verschwinden würden. Die Gewordenheit unserer Gegenwart mit all den Schrecknissen der Vergangenheit zu verstehen, öffnet das Fenster zu einer menschlichen Zukunft. Belehren – vielleicht, Indoktrinieren: Nein. Berichten, der Wahrheit verpflichtet, darstellen und dokumentieren, das ist unsere Aufgabe.
Mit Bauers juristischer Konsequenz, Peter Weiss literarischer Verarbeitung und Willy Brandts Kniefall am 9. Dezember 1970 in Warschau setzten drei ehemalige Emigranten die wichtigsten Marksteine für die Wandlung des bundesdeutschen Geschichtsbildes. Es war dem national-konservativen Richard von Weizsäcker, ehemaliger HJler und Wehrmachtssoldat, vorbehalten, mit seiner großartigen Rede als Bundespräsident am 8. Mai 1985 einen neuen – quasi amtlichen – Blick auf die Nazizeit zu Protokoll zu geben, indem er den 8. Mai 1945 nicht als Tag der Niederlage, sondern als Tag der Befreiung wertete.
Zurück zu Peter Weiss und Fritz Bauer. Bauer war mehr als ein konsequenter Jurist, er hatte auch das politische Ziel, die deutsche Öffentlichkeit, vor allem junge Menschen, für die Schrecken der Nazizeit zu sensibilisieren. Zahlreiche Schulklassen verfolgten den Prozess und er nahm sich die Zeit, um in Schulen Vorträge zu halten.
Wir sollten seinem Beispiel folgen. Bildung ist die wichtigste Voraussetzung um Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus entgegenzuwirken. So wie die Ermittlung zum Kanon der deutschen Literatur und des deutschen Theaters gehört, so gehört auch der Film, den wir jetzt sehen werden, ins Inventar der Aufklärung und Erinnerung.
Reinhard Klimmt
Übrigens: Im Carmera Zwo in Saarbrücken läuft der Film ab 25. Juli!
Eine Ausstellung mit Werken von Ulrich Klimmt vom 21. Juni bis 30. November 2024
Schirmherrin: Ministerpräsidentin Anke Rehlinger
Sammlung Zimmer
Hollandstraße 10
66663 Merzig
Um Anmeldung für Ihren Ausstellungsbesuch wird gebeten unter: E-Mail: MartZimmer@gmx.de oder Tel.: +49 681 99046728
Öffnungszeiten der Ausstellung
sonntags, 13-18 Uhr und nach Vereinbarung Tel.: +49 6861 74244
"Wir sind das Volk" und dann "Wir sind ein Volk!" waren die Parolen im Jahr 1989. Und sie stimmten beide, heute wie damals… Meinen Beitrag finden Sie in der aktuellen Ausgabe 04/2024 der Neuen Gesellschaft. Frankfurter Hefte. Die Zeitschrift für Kultur und Politik.
Viel Freude beim Lesen! Ihr Reinhard Klimmt
Am 03. September feierte die SPD Saar ihren 120. Geburtstag im Dillinger Lokschuppen. Dort präsentierten Reinhard Klimmt und Rudi Strumm, ehemaliger SPD-Landesgeschäftsführer, ihren Essay "120 Jahre Sozialdemokratie an der Saar" (das Buch ist bei der SPD Saar erhältlich). Einen Tag nach der Geburtstagsfeier erschien ein Bericht von Michael Kipp in der Saarbrücker Zeitung.
Am 23. Mai 2023 ging es im Morgenmagazin um den 160. Geburtstag der SPD - die älteste im Bundestag vertretene Partei. Reinhard Klimmt, ehemaliger saarländischer Ministerpräsident und Emily Vontz, jüngste Bundestagsabgeordnete, blicken gemeinsam auf ihre Partei.
"Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste." Heinrich Heine
Es lohnt, sich Zeit für ein gutes Buch, für das Eintauchen in die Welt zwischen zwei Buchdeckeln zu nehmen. Aber auch das Online-Stöbern in den Beständen des Antiquariats Der Büchergärtner beziehungsweise der Besuch der im Herzen von Saarbrücken gelegenen Buchhandlung St. Johann machen große Freude.
Die Buchhandlung St. Johann und das Antiquariat sind in der Kronenstraße 6 gelegen.
Der Büchergärtner ist online zudem bei ZVAB.com, AbeBooks.de sowie booklooker.de vertreten.
Auf Ihren Besuch vor Ort (oder virtuell) freuen sich die Mitarbeitenden.
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